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LVMH hat den Massenmarkt für Luxusartikel wie Louis Vuitton, Dior und Tiffany geschaffen


Der französische Konzern LVMH macht prestigeträchtige Marken massentauglich. Unternehmer Bernard Arnault ist damit zum reichsten Mann der Welt geworden.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Sie hat die Form eines Glückskekses, ist so gross wie ein Handball und kostet 1900 Franken. Trotzdem ist die Handtasche, die das Modelabel Louis Vuitton im Februar 2023 auf den Markt bringt, nach wenigen Tagen ausverkauft. Ähnlich begehrt waren ihre Vorgängermodelle: Lederhandtaschen in der Optik eines Farbeimers (2200 Franken) und eines Kaffeebechers (1500 Franken).

Mehr als 120 Jahre früher, im Jahr 1899, veröffentlichte der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen seine «Theorie der feinen Leute». Er geht der Frage nach, warum reiche Menschen teure Güter kaufen. Die Antwort: Nicht wegen deren Gebrauchswert oder weil sie ihnen besonders gut gefallen, sondern weil sich arme Menschen diese Güter nicht leisten können. Thorstein Veblen schreibt: «Es ist ausserordentlich wohltuend, etwas mehr zu besitzen als die anderen.»

Die Luxusgüterindustrie macht diesen Wunsch zu Geld. 350 Milliarden Euro setzte sie im vergangenen Jahr um, allen Krisen zum Trotz. Das erfolgreichste Unternehmen der Branche ist ein französischer Konzern: LVMH. LVMH gleicht einer gigantischen Luxusboutique. Er verkauft Produkte von 75 Marken, darunter Moët-&-Chandon-Champagner, TAG-Heuer-Uhren, Tiffany oder eben Louis-Vuitton-Mode. Im vergangenen Jahr machte LVMH 14 Milliarden Euro Gewinn.

LVMH ist ein Koloss. Und wächst jedes Jahr, sammelt noch mehr Marken, verkauft noch mehr Produkte an noch mehr Kunden. Je grösser LVMH wird, desto reicher wird Bernard Arnault.

Arnault, 74 Jahre alt und Franzose, ist Geschäftsführer des Konzerns und seit vergangenem Jahr der vermögendste Mensch der Welt. Laut Bloomberg besitzt er ein Vermögen von 212 Milliarden Euro, also mehr als die Tech-Giganten Elon Musk oder Jeff Bezos.

Arnault hat aus LVMH gemacht, was das Unternehmen heute ist. Er hat zwei Dinge zusammengebracht, die eigentlich nicht zusammengehören: Luxus und Masse. Und hat damit einen Nerv getroffen: «Der Wunsch nach sozialem Status und Anerkennung ist etwas zutiefst Menschliches», sagt Frank Müller, Dozent an der Universität St. Gallen und Berater von Luxus-Unternehmen. «Das ist bereits seit der Antike die Rolle des Luxus: den Menschen ein Gefühl von besonderer Identität zu geben.»

Arnault verkauft Dinge, die die Menschen nicht brauchen, aber gerne besitzen. Die ihnen diese «besondere Identität» geben. Für Frank Müller ist Arnault ein «intellektueller Visionär, der das Konzept von Luxus neu gedacht hat». Und Arnault ist unverschämt erfolgreich. Die Frage ist nur: wie lange noch?

Der Erweckungsmoment

Die Idee für LVMH soll Bernard Arnault in den 1970er Jahren während einer Taxifahrt durch New York gekommen sein. Arnault soll den Taxifahrer gefragt haben, ob er den französischen Präsidenten Georges Pompidou kenne. Der Taxifahrer verneinte, fügte aber an, den Namen eines anderen Franzosen zu kennen: Christian Dior.

Die Taxifahrt ist ein Erweckungsmoment: Arnault, der als 29-Jähriger die Baufirma der Familie übernommen und zu Frankreichs erfolgreichstem Ferienwohnungsvermieter umstrukturiert hatte, erkennt, dass es Marken gibt, deren Strahlkraft durch sämtliche gesellschaftliche Schichten hindurch reicht. 1984 kauft er das Textilunternehmen Boussac, zu dessen Tochterfirmen Christian Dior gehört. Boussac wäre fast bankrottgegangen.

Arnault überredet den französischen Staat, der vorübergehend die Verwaltung des insolventen Unternehmens übernommen hatte, ihm Boussac für den symbolischen Preis von einem Franc zu verkaufen. Arnault saniert den Betrieb, entlässt 9000 Angestellte und stösst bis auf Christian Dior und das Warenhaus Bon Marché alle Geschäfte ab. Journalisten geben ihm einen Spitznamen: «Wolf im Cashmere-Pelz».

Schon bald erspäht Arnault die nächste Beute: den Konzern LVMH. LVMH ist 1987 aus dem Zusammenschluss zwischen dem Modelabel Louis Vuitton und dem Spirituosenhersteller Moët Hennessy entstanden. Die Chefs hatten sich mit der Fusion vor einer feindlichen Übernahme schützen wollen.

Um weiter zu wachsen, holen sie Bernard Arnault ins Unternehmen, der das erstarkte Modehaus Dior mitbringt. Doch der vermeintliche Partner Arnault erweist sich als kompromissloser Gegner im Kampf um die Führung. Während die alten Patrons die Luxusgruppe in autonome Teilbereiche aufteilen wollen, plant Arnault eine straffe, zentralistische Führung des Konzerns – mit ihm als Vorsitzendem.

Arnault zieht vor Gericht. Und gewinnt. Er verdrängt die Chefs von Louis Vuitton und Moët Hennessy aus ihren Familienunternehmen, übernimmt die Mehrheitsbeteiligung und ernennt sich 1989 zum Präsidenten des Konzerns. Von Journalisten lässt er sich mit den Worten zitieren: «Ich werde mit allen Konsequenzen meine Strategie zu Ende verfolgen.»

Die Strategie

Die Strategie funktioniert so: LVMH kauft etablierte Luxusmarken auf und macht sie massentauglich. Das Vorbild ist Louis Vuitton, gegründet 1854. Als Arnault Louis Vuitton in den achtziger Jahren übernimmt, stellt die Marke schlichte Koffer und Taschen her. Sie steht für Eleganz, sie strahlt etwas Altehrwürdiges aus, aber darauf springt nur die Upper Class an. Arnault will das ändern. Er engagiert 1997 den Designer Marc Jacobs als künstlerischen Leiter, der sofort einen Tabubruch begeht. Er überzieht die eleganten Taschen mit einem knalligen Graffiti-Print. Plötzlich sehen sie nach Streetwear aus. Und Louis Vuitton wird zur hippen Marke – eine Wandel, den Jacobs' Nachfolger Virgil Abloh zu seiner Vollendung führt.

Gleichzeitig kauft LVMH fleissig weitere Luxusmarken auf. Etwa 1988 das Modeunternehmen Givenchy, 1999 den Uhrenfabrikanten TAG Heuer, 2016 den Kofferproduzenten Rimowa, 2021 den Schmuckhersteller Tiffany.

In der Öffentlichkeit treten die Marken unabhängig voneinander auf. Die Menschen in den Einkaufszentren kaufen ein Bulgari-Parfum, eine Tiffany-Halskette oder eine Flasche Dom Pérignon – ohne zu wissen, dass alles zu LVMH gehört.

Der Konzern erwirtschaftet, wie für den Luxusmarkt typisch, sehr hohe Margen. Er veröffentlicht keine Zahlen für die einzelnen Marken, doch ein Blick auf den Geschäftsbericht zeigt: Bei den Spirituosen bleiben 30 Prozent des Umsatzes als Gewinn liegen, bei Mode und Lederwaren sind es 40 Prozent. Die Produkte von LVMH werden nie zu Rabattpreisen angeboten. Egal, wie teuer sie sind.

Im Hintergrund schafft LVMH Synergien beim Marketing oder nutzt Skaleneffekte in der Produktion. Luxusgüter unterliegen längst denselben Marktgesetzen wie Autos, Maschinen oder Chemikalien. Die Massenproduktion ersetzt den handwerklichen Betrieb einzelner Marken.

Branchenkenner kritisierten anfangs die Strategie von Bernard Arnault. Sie sagten, Luxusmarken müssten für sich selbst stehen, etwas Einzigartiges sein. LVMH hat das Gegenteil bewiesen.

VIDEO: Louis Vuitton owner LVMH buys Tiffany & Co for $16.2 billion
CNA
  • Der Umsatz hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als versechsfacht, von 12 auf 80 Milliarden Euro.
  • Der Gewinn hat sich in derselben Zeit verzwanzigfacht, von 700 Millionen auf 14 Milliarden Euro.
  • LVMH verantwortet 20 Prozent des weltweiten Umsatzes von Luxusgütern. Jeder fünfte Euro fliesst in die Kassen des Konzerns.
  • LVMH bringt es an der Börse derzeit auf eine Marktkapitalisierung von rund 416 Milliarden Euro. Er ist der mit Abstand wertvollste Konzern der Euro-Zone.

LVMH wird immer grösser. So gross, dass das Unternehmen, wie es der Luxusgüter-Experte Frank Müller ausdrückt, die «anderen massiv dominiert». Durch seine Grösse, sagt Müller, kann LVMH nicht nur Kosten sparen, sondern auch seine Marktmacht ausnutzen. «Wenn zum Beispiel in Schanghai ein neues Einkaufszentrum gebaut wird, gehen die Betreiber als Erstes zu LVMH. Der eröffnet dann mehrere Boutiquen für seine Marken und kann bessere Bedingungen aushandeln.»

LVMH weiss auch seine finanziellen Möglichkeiten zu nutzen und investiert Millionen ins Marketing. Bernard Arnault sagte einmal in einem Interview: «Wachstum ist abhängig von Begierde. Die Kunden müssen das Produkt wollen.»

Die Rolle des Promis

Der Schauspieler Ryan Gosling ist Markenbotschafter für TAG Heuer. Die koreanische Boygroup BTS präsentiert auf Modenschauen in Seoul die neuste Herrenkollektion von Louis Vuitton. Die Schauspielerin Anya Taylor-Joy wirbt auf ihrem Instagram-Kanal für die Kosmetikprodukte von Dior. Und als LVMH nach der Übernahme von Tiffany eine grosse Werbekampagne lanciert hat, posierten die Sängerin Beyoncé und ihr Mann Jay-Z in funkelnden Diamanten.

Die wichtigsten prominenten Werbeträger von LVMH sind aber die Musiker Rihanna und Pharrell Williams. Sie arbeiten eng mit dem Konzern zusammen. Mit Rihanna hat LVMH die Kosmetikmarke Fenty gegründet, welche die Sängerin zur Milliardärin machte. Pharrell Williams ist seit Anfang des Jahres Chefdesigner für Herrenmode bei Louis Vuitton.

Die Welt von LVMH ist ein Klub voller Superstars.

Und das lockt junge Leute an. Markenbindung findet heute nicht mehr in Hochglanzmagazinen, sondern vor allem in den sozialen Netzwerken statt. Millennials und die Generation Z verschwenden ihre Zeit auf Instagram, Tiktok und Co., wo sie von ihren Idolen vorgelebt bekommen, was man trägt.

Junge Leute werden heute früh mit berühmten Marken bekannt gemacht – und wollen die dann auch haben. «Schauen Sie sich das Profil der Personen an, die vor den Luxusboutiquen Schlange stehen», sagt Karine Szegedi, Luxusgüter-Expertin beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte. «Viele davon sind unter 30. Die jüngere Generation hat viel weniger Hürden, einen grösseren Betrag für Luxusartikel auszugeben, als das vor 10-20 Jahren der Fall war.»

Luxus ist bei den Jungen so angesagt wie noch nie zuvor. Zwischen 2019 und 2021 hat die Generation Z ihren Anteil an den weltweiten Ausgaben für Luxusprodukte von 8 auf 17 Prozent erhöht.

Lippenstift für alle

LVMH hat es geschafft, eine Fangemeinde für seine Marken zu kreieren. Und diese Fans kaufen Fan-Produkte, Merchandise. Die Überlegung ist simpel: Wenn sich schon nicht jede Frau ein Dior-Kleid leisten kann, dann kann man ihr wenigstens ein Dior-Parfum verkaufen. Oder einen Lippenstift, ein Paar Sneakers, ein Portemonnaie.

Diese sogenannten Entry-Level-Produkte sind verhältnismässig günstig und ermöglichen es den Fans, etwas von der Marke zu besitzen. Dahinter steht die Hoffnung, dass die jungen Kunden mit steigendem Alter und Einkommen die höherpreisigen Produkte kaufen. Und: Auch Entry-Level-Artikel steigern Umsatz und Gewinn.

Louis Vuitton verdient heute mehr Geld mit Streetwear-Produkten wie T-Shirts oder Sneakers als mit Haute-Couture-Mode. Louis Vuitton ist massentauglich und modern geworden. Das Engagement von Pharrell Williams ist sinnbildlich: Der Musiker hat eine breite Fanbasis. Er gilt als hip, trägt Schmuck und bunte Farben und spielt mit den Geschlechterrollen. Die Botschaft, die Louis Vuitton vermitteln will, ist eindeutig: Wir sind längst mehr als teure Handtaschen. Wir sind ein Lebensgefühl.

Doch wenn sich immer mehr Menschen dieses Lebensgefühl leisten können: Ist das dann noch Luxus?

Die Gewinne steigen rasant

VIDEO: TIFFANY TURMOIL & PRICE INCREASES - What to Prepare For with LVMH Take Over! | luxuryinModeration
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Nettogewinn von LVMH, in Milliarden Euro

«Der Spagat zwischen Luxus und Masse ist für LVMH eine grosse Herausforderung», sagt Frank Müller von der HSG. Das Unternehmen wolle zwar wachsen und neue Kunden gewinnen, doch Luxus bedeute eben auch, exklusiv zu sein. «Wenn alles zu einem Einheitsbrei wird, ist das Elitäre von Luxus nicht mehr vorhanden», sagt Müller. In anderen Worten: Wenn sich jeder Louis Vuitton leisten kann, ist niemand mehr bereit, die hohen Preise zu bezahlen. «Eliten entstehen nun mal durch Abgrenzung nach unten.»

Auch Karine Szegedi von Deloitte sieht eine Gefahr. «Je bekannter eine Marke wird, desto mehr Konsumenten wollen sie. Aber je mehr Produkte die Marke verkauft, desto weniger luxuriös und exklusiv ist sie. Und Luxus soll etwas Besonderes sein, ein Traum, ein Geschenk. Diese Balance zu halten, ist schwierig.»

Der schlechte Ruf von Luxus

Hinzu kommt: Luxus hat in der heutigen Zeit ein Imageproblem. Reich zu sein und das zu zeigen, kommt bei immer mehr Leuten schlecht an. Heute wollen sich auch die Wohlhabendsten bodenständig geben, legere Kleidung tragen, einen lockeren Umgang pflegen. Gesellschaftliche Trennlinien, die während Jahrzehnten Gewissheit gaben, werden durchbrochen.

Kann Luxus in so einer Welt überhaupt überleben?

Frank Müller sagt: «Luxus, das ist vieles für wenige, das Gegenteil von sozialer Teilhabe. Es bedeutet so viel wie: Wir hassen den König, aber wir beneiden ihn um seinen Reichtum. Die Frage ist, ob eine zunehmend nach Egalität strebende Gesellschaft sich weiterhin eine solche Form des Elitentums erlauben will.»

Karine Szegedi findet: «Luxus geht mit der Gesellschaft mit – und kann sich adaptieren.»

LVMH dürfte die gesellschaftlichen Veränderungen erkannt haben. Da gerade jüngere Generationen als kritisch und umweltbewusst gelten, bemüht sich der Konzern um eine gute Ökobilanz und faire Produktionsbedingungen. Im Jahr 2019 kam der Strom für die Paris Fashion Week von Generatoren, die mit Rapsöl betrieben wurden. Das Durchschnittsalter der 175 000 LVMH-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter beträgt 37 Jahre. Der Frauenanteil liegt bei 71 Prozent.

Und so wird LVMH immer grösser und mächtiger. Bernard Arnault ist entschlossen, sein Universum von Luxusmarken in die Zukunft zu führen. Er hat jedem seiner fünf Kinder eine Schlüsselposition im Konzern verschafft.

Die Tradition, die in den Marken von LVMH steckt, wird heute noch geschätzt und soll Arnault überdauern. In einem seiner seltenen Interviews sagte er einst: «Eine Marke muss für die Ewigkeit gebaut sein. Sie muss zu einer Institution geworden sein. Dom Pérignon ist ein perfektes Beispiel. Ich garantiere Ihnen, dass die Menschen auch im nächsten Jahrhundert noch Dom Pérignon trinken werden.»

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Author: Samantha Vazquez

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Job: Museum Curator

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