Die Bombendrohungen gegen drei Schulen im Rems-Murr-Kreis am Freitag (27.10.) ordnen sich ein in ein großes, ein immer größer werdendes bundesweites, womöglich gar internationales Bild. Regelmäßig geht es in den Drohschreiben um den Nahostkonflikt. Der Überblick.
Bombendrohung: Polizei-Einsätze in Fellbach, Schorndorf und Waiblingen
Die Meldungen ploppten am Freitagvormittag eine nach der anderen auf, und mit jeder wurde klarer: Die Geschehnisse im Rems-Murr-Kreis – am Burg-Gymnasium Schorndorf, Salier-Gymnasium Waiblingen und Stresemann-Gymnasium Fellbach – stehen mitnichten isoliert da.
Bereits am Donnerstagnachmittag hatte das Bundeskriminalamt gegenüber den Stuttgarter Nachrichten erklärt: Es gebe seit Montag quer durch die Republik eine „mittlere zweistellige“ Zahl an Bombendrohungen gegen verschiedene Einrichtungen, von Schulen über Jobcenter bis zu Zeitungsverlagen, Sendehäusern und auch Polizeidienststellen. Am Freitag aber nahm der Fall noch einmal rasend Fahrt auf. In der Nacht auf Freitag beziehungsweise am frühen Morgen gingen vielerorts Mails ein.
Bisher nie Sprengstoff gefunden: Stammen alle Drohungen vom selben Verfasser?
Die gute Nachricht: Nirgendwo kam bislang jemand körperlich zu Schaden, nirgendwo wurde bei der Durchsuchung eines Gebäudes Sprengstoff gefunden. Nicht überall wurden die Gebäude überhaupt evakuiert - vor allem bei Schulen aber ging die Polizei auf Nummer sicher. Zwischenbilanz: Bislang handelte es sich durchweg um leere Drohungen, die aber natürlich für große Aufwühlung sorgten.
Unklar ist, ob hinter allen Drohungen dieselben Verfasser stecken. Denkbar ist auch, dass Trittbrettfahrer seit Montag auf den bereits angerollten Zug aufgesprungen sind. Aber der Eindruck verdichtet sich, dass zumindest viele der Fälle Teil einer Serie sind. Denn es gibt da einige auffällige Gemeinsamkeiten:
- Die Drohungen kommen per Mail, nicht per Papierpost – wobei die Mailadressen eine Rückverfolgung offenbar nur schwer oder gar nicht möglich machen.
- Die Drohschreiben sind oft in einer markanten zweisprachigen Mischung abgefasst: arabisch und englisch. Anders im Rems-Murr-Kreis: Hier wurde laut einem Sprecher des Polizeipräsidiums Aalen deutsche Sprache verwendet und lediglich mit arabischen Grußformeln angereichert.
Wie sich die Drohschreiben unterscheiden: Nicht immer geht es um den Nahostkonflikt
Daneben gibt es diverse weitere Unterschiede zwischen den bundesweit kursierenden Mails:
- In manchen, aber offenbar nicht allen wird die Hamas erwähnt,
- in vielen, nicht allen, wird Bezug genommen auf den Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation,
- oft, aber nicht immer, wird auf die Lage der Palästinenser im umkämpften Gazastreifen rekurriert
- und in mindestens einem Schreiben geht es offenbar auch um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
Bombendrohungen: Verunsicherung, Angst und Zorn
Es liegt nahe, als Motiv den Versuch zu sehen, Verunsicherung, Angst oder auch Zorn in Deutschland zu wecken. Aber wer steckt dahinter? Das ist offen.
Es können Sympathisanten der Palästinenser sein – denkbar ist aber auch eine sogenannte „False Flag“-Aktion von Leuten, die nur den Anschein erwecken wollen, dass Muslime die Mails versenden.
Und spiegel.de meldete am Freitagabend in einer Eilmeldung: „Internet-Trolle“ steckten hinter den Bombendrohungen – es handle sich nach Spiegel-Recherchen um Kriminelle, die in der Vergangenheit bereits „gezielt falsche Notrufe abgesetzt haben, um Polizei- oder Feuerwehreinsätze auszulösen“. Sie gäben sich oft „als islamistische Hamas-Kämpfer“ oder auch mal als „militante Israelis“ aus.
Wie stichhaltig die Spiegel-Erkenntnisse sind, lässt sich noch nicht absehen. Obendrein fällt auf, dass auch das Nachrichtenmagazin von Texten in englischer und arabischer, teilweise gar hebräischer Sprache schreibt – das passt nicht zu den auf Deutsch verfassten und nur mit kurzen arabischen Einsprengseln versehenen Rems-Murr-Drohbriefen.
Ein Drohschreiben im Wortlaut: "Im Namen der Hamas"
Der Zeitung Die Welt liegt eines der Drohschreiben vor. Es heiße darin, ins Deutsche übersetzt: „Hallo, es freut uns, zu verkünden, dass Ihr Gebäude im Namen der Hamas bombardiert wird, wir haben Sprengstoff im Wert von mehr als 20 Millionen Euro.“ Man sei „bewaffnet mit automatischen Gewehren, also versucht gar nicht erst, uns zu stoppen. Allah ist der Größte“.
Serie von Drohungen: Wer bislang betroffen war
Angefangen hatte die Serie bereits am Montag. Sie setzte sich dann die Woche hindurch fort. Betroffen waren bislang unter anderem (ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit):
- öffentliche Einrichtungen wie der Berliner Hauptbahnhof
- das Willy-Brandt-Haus, Sitz der SPD
- diverse Medienhäuser: das ZDF in Mainz, RTL, das Landesfunkhaus der Thüringer Privatradios Antenne Thüringen, Landeswelle Thüringen und Radio Top40 in Weimar
- Schulen in Erfurt (Thüringen), Rostock (Mecklenburg-Vorpommern), Köln, Mönchengladbach, Solingen, Wuppertal, Münster (Nordrhein-Westfalen), Brandis, Pulsnitz, Chemnitz (Sachsen), Bayreuth, Erlangen, Straubing, Friedberg, Hollfeld, Neumarkt, Augsburg, Regensburg, Cham, München (Bayern), Mannheim, Heidelberg, Stuttgart-Vaihingen, Göppingen, Schorndorf, Waiblingen, Fellbach (Baden-Württemberg).
Bombendrohungen: Trittbrettfahrer oder konzertierte Aktionen?
Wellen von Bombendrohungen gegen Schulen, Medienhäuser und jüdische Einrichtungen gibt es seit Entflammen des Krieges in Nahost nach dem Hamas-Terror (ab dem 7. Oktober) gegen Israel. Es könnte sich um international konzertierte Aktionen oder aber um zumindest teils auch weltweite Trittbrettfahrer-Aktionen handeln.
Nicht immer ist allerdings der Bezug zum Nahen Osten gegeben, auch der Ukraine-Krieg scheint anlassgebend zu sein. Das lässt Spekulationen zu, dass russische Geheimdienste entweder mit der Hamas im Bunde oder die weltweite Empörung nutzend, parallel zum Krieg im Nahen Osten, Chaos und Verwirrung in den die Ukraine unterstützenden Staaten stiften möchten, um die Stimmung anzuheizen, zu destabilisieren und Einfluss auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen zu nehmen. In Betracht kommen freilich auch unpolitische Trittbrettfahrer insgesamt, also „dumme Idioten“. Freilich kommen auch islamistische Extremisten und Hamas-Unterstützer infrage.
Hier nur einige Beispiele des Jahres 2023, bislang allesamt "Fake" und "Hoax", also leere Drohungen:
- Wellen von Bombendrohungen gegen Schulen per Mail und Telefon erschüttern Großbritannien schon seit März dieses Jahres (The Guardian) und setzten sich bis in den September fort, also vor dem Entflammen des Kriegs im Nahen Osten. Die Mailinhalte waren mutmaßlich nicht-politisch.
- In Bulgarien kam es zu Dutzenden von Bombendrohungen gegen Schulen Ende März im Vorfeld der Wahlen, berichtete die Nachrichtenagentur AP. Die bulgarischen Sicherheitsbehörden verdächtigen seither Russland als Urheber.
- Seit August untersucht die Polizei in Italien die Verwicklung von „Anarchisten“ in eine Bombendrohung auf einen Eisenbahntunnel zwischen Florenz und Bologna. Hingegen nicht ausgesprochen "politische“ Bombendrohungen führten Anfang April zur Evakuierung einer Internationalen Schule in Rom und Anfang September zur Evakuierung des Colosseums in Rom. Die Bombendrohung gegen eine jüdische Schule in Rom am 18. Oktober hatte wiederum Bezug zum Krieg im Nahen Osten.
- Mitte Oktober war das Baltikum (Estland. Lettland, Litauen) betroffen, berichtete die Nachrichtenagentur AP am 13. Oktober: „Gemailte Bombendrohungen, die an Schulen und Kindergärten in den drei baltischen Staaten geschickt worden sind, führten zu Unterrichtsausfällen in der gesamten Region.“ Der litauische oberste Polizeichef Renantas Pozala sprach der AP gegenüber von einer „koordinierten Massen-Attacke“ mit Hunderten von E-Mails, die von einem Server innerhalb der Europäischen Union verschickt worden seien. Die Mehrheit der Mails sei auf Russisch gewesen und habe politische Inhalte gehabt, mit dem Ziel, Panik zu schüren.
- Frankreich: Ebenfalls Mitte Oktober störte eine Reihe von Mail-Bombendrohungen mit Bezug zum Nahost-Krieg den Betrieb von Flughäfen und touristischen Lokalitäten und hatte Evakuierungen zur Folge. Dutzende mutmaßliche Trittbrettfahrer wurden festgenommen. Das französische Justizministerium warnte in den landesweiten Medien: Auch „Fake-Bombendrohungen“ könnten mit bis zu zwei Jahren Gefängnis und 30.000 Euro Geldstrafe geahndet werden.
- Auch in der Schweiz mussten wegen Bombendrohungen dieser Tage Gerichtsgebäude und Flughäfen evakuiert werden (20 Minuten). Und bei mehreren Schweizer Medienhäusern seien Drohmails eingegangen. Bezug: der Krieg im Nahen Osten.
Author: William Archer
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